KEN. Willie Nelson (*29. April 1933) erzählt die Geschichte eines langen Lebens. Von sich selbst, seinen frühen Jahren in Abbott, Texas, seiner frühen Leidenschaft als Autor, die ihm ein Vermögen als Singer-Writer einbrachte (»… schön und gut, aber …«), seinem Wunsch, »auch als Künstler erfolgreich zu sein« – und seinen Zusammenbrüchen, sowohl wirtschaftlich als auch privat.
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Schon mit fünf Jahren schreibt er Gedichte. Später fühlt er sich als wiedergeborenes Dichtergenie. Da ist etwas dran, auch wenn er als Raufer zunächst keinem Streit aus dem Weg ging und sich dadurch für Taekwondo zu interessieren beginnt. Er ist heute Träger des 5. DAN in Gongkwon Yusul.
Seine Gemeinde untersagt ihm die Jugendarbeit in der Sonntagsschule, weil er den Samstag davor begeistert vor Betrunkenen in der Kneipe singt und spielt. Trotzdem sieht er sich seinem christlichen Glauben verpflichtet und peppt ihn mit einem frei denkerischen indianischen Akzent auf. Dass seine Vorfahren zu einem Achtel Indianer sind, dazu steht Willie Nelson später auch optisch und tauscht seine brave Frisur gegen lange Zöpfe. Das macht ihn auch als Darsteller in »On the Road Again« (1980) von Jerry Schatzberg oder »Der elektrische Reiter« (1979) mit Robert Redford und Jane Fonda interessant.
Seine Großmutter kümmerte sich um den jungen Willie und dessen Schwester, während die Eltern längst weiterziehen. Willie Nelson startet als »der typische Amerikaner« von ziemlich weit unten. Als junger Erwachsener verkauft er Lexika und Staubsauger, um seine Familie zu ernähren. Die Airforce hatte ein Problem mit seiner Disziplin … Nebenher moderiert er in kleinen, lokalen und später überregionalen Radiosendern und ist somit von Anfang an immer nahe dran an der Quelle. Er nutzt die sendefreie Zeit im Studio, um seine ersten eigenen Lieder zu produzieren.
Die frühen Plattenauflagen betragen nur wenige Hundert Exemplare und decken kaum die Produktionskosten. Aber Willie Nelson lernt auch Manager kennen, die durch die Studios tingeln, um ihre Stars auf Sendung zu bringen. – Ein ziemlich cleveres Marketing. Von Willie Nelson, meine ich.
In dieser Zeit will er vor allem Texte schreiben und davon leben, solche mit Musikvorschlägen, damit sie sich besser verkaufen. Er präsentiert sie wie ein Hausierer – gelernt ist eben gelernt – und verkauft seine frühen Werke für lächerliche Beträge an bereits bekannte Stars, zu denen er einmal selbst gehören wird.
Willie Nelsons junge Frau Martha, eine Cherokee und heißblütig wie er selbst, versorgt ihn und die drei gemeinsamen Kinder, arbeitet Schicht als Kellnerin für die knappe Grundsicherung. Dass die beiden sich nicht nur küssen, sondern auch schlagen, bedauert Willie Nelson zu spät – und dann vor allem in seinen Liedern. Darin erscheint er überraschend sanft, gleichzeitig rebellisch und ebenso kraftvoll.
Egal wie hart die Niederschläge des Unbeugsamen im Lauf der Jahrzehnte sein werden, Willie Nelson kommt immer wieder auf die Beine, singt »On the Road Again« – und meint das bis ins hohe Alter. Trotz Alkohol, Kokain, Ecstasy – und vor allem Frauen.
Willie Nelsons Lieder darüber wirken immer wahr und betroffen, selbst wenn er schreibt, was ihn beim Anblick einer kahlen Wand bewegt. Ihn in einem Atemzug mit Ray Charles, Johnny Cash und Bob Dylan (»Heartland«) zu nennen, ist eine leichte Übung und allemal angemessen.
Willie Nelson nutzt sein Talent zunächst, um Liedentwürfe anderer Musiker aufzupolieren. Dadurch entstehen neue, großartige Texte. Sie spiegeln wider, was er gerade selbst erlebt. »Always on My Mind«, schon vorher ein Klassiker, wird erst zum Ohrwurm, nachdem Willie Nelson guten Grund hat, darüber nachzudenken, vielleicht zu wenig geliebt, dafür aber eine wirkliche Begegnung versäumt zu haben.
Er kann auch treu sein, wobei Frauen bis zur Mitte seines Lebens davon keinen wirklichen Vorteil haben. Seine berühmte Gitarre kommt dabei schon besser weg. Das schrundig ramponierte Martin-Akustik-Schätzchen kann er bereits an einen Verstärker anschließen. Diese Gitarre passt zu seinem Spiel wie auch zu seiner Stimme. Er nennt sie Trigger, nach dem legendären Palomino-Pferd des Sängers und Westernhelden Roy Rogers.
Western, Folk, Blues – auf Trigger ist für Willie Nelson, der sich tief vor Django Reinhardt verbeugt, alles möglich. Er spielt auf Trigger auch dann noch, als er mit seiner Schlaghand nach unzähligen Konzerten längst ein zweites Loch in die Decke »gepickt« hat.
Nicht nur bei den Konzerten Willie Nelsons fliegen die Späne. Als seine Tochter sich nach einem Ehestreit, der ins Körperliche ging, bei ihm ausweint, ohrfeigt er seinen Schwiegersohn und schießt dem Flüchtenden anschließend einen Autoreifen kaputt. Die Polizei findet das durchaus nachvollziehbar und im Rahmen. Sie verfolgt den Fall nicht weiter.
Wohl kaum ein amerikanisches Klischee lässt Willie Nelson im Lauf seines Lebens aus. Zu seiner Heldengeschichte gehört, seine Einnahmen großzügig zu verteilen und von Managern so sehr übers Ohr gehauen zu werden, dass er wieder ganz unten landet. Während andere in Rente gehen, begleicht er eine gigantische Steuerschuld mit dem, was er am besten kann: mit neuen Liedern, die er der Finanzbehörde überschreibt. Das ist in den 1990ern, und Willie Nelson ist längst eine Legende, ein Star unter Sternen. – Das Finanzamt dürfte ein ordentliches Plus gemacht haben.
In seiner Autobiografie wollte Willie Nelson lediglich eine Geschichte, seine Geschichte, erzählen: «Klar wie der Himmel über Texas und in genau dem Rhythmus, in dem ich mein Leben lebe. Es ist die Geschichte von Rastlosigkeit und der Magie des Augenblicks, der Suche nach dem richtigen Leben.« Das führt ihn und uns als seine Leser von Abbott bis zum Pazifischen Nordwesten, von Nashville bis Hawaii und wieder zurück.
Dabei wollte Willie Nelson immer nur gehört werden. In seiner Autobiografie können wir ihn als einen der 100 besten Gitarristen aller Zeiten (Rolling Stone) auch lesen. David Ritz stand ihm als Musikerbiograf und Coautor zur Seite. – Das ist nur konsequent: So wie viele seiner Lieder von anderen gesungen werden, muss Willie Nelson auch das seines eigenen, langen Lebens, nicht allein aufführen.
Ein Beitrag von www.buecher-blog.net.
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